|
Moto Guzzi ist der älteste Motorradhersteller Europas. Gleichzeitig baut die Traditionsfirma am Ufer des Comer Sees mit 1380 Kubikzentimetern den größten V2-Motorradmotor Europas. Dieser treibt die aktuelle California-Baureihe an, die nun um zwei Modelle erweitert wurde.
Freitag, 5. Juni 2015 09:30
|
Die Geschichte der California geht zurück bis in die siebziger Jahre, als die Polizei von Los Angeles begann, Moto Guzzis einzusetzen. Ähnlich ausgestattete Maschinen für den Zivilverkehr mit viel Tourenzubehör bekamen den Namen California. Eine etwas abgespeckte Version bot Moto Guzzi in den USA mit der wohlklingenden Bezeichnung Eldorado an. In der restlichen Welt wurde die Maschine als 850 GT verkauft. Nun lässt Moto Guzzi die Eldorado wieder auferstehen.
Wie damals basiert die Eldo auf der Cali, aber hier wurde nicht nur hauptsächlich das Tourenzubehör abgeschraubt, sondern es gab auch ein paar Änderungen. Hierzu gehören neue Drahtspeichenfelgen anstelle der bisherigen Gußräder. Dabei wurde der Durchmesser des Vorderrades von 18 auf 16 Zoll verkleinert, es ist also jetzt genauso groß wie das Hinterrad. Die neuen Felgen erlauben Schlauchlosbereifung und sind mit Winkelventilen ausgestattet. Abgedeckt werden die Gummis von neu gestalteten, geschwungenen Schutzblechen, welche diesen Namen auch verdienen. So reicht der Kotflügel vorne weit herunter und schützt ordentlich den vorm Motor positionierten Ölkühler. Schriftzüge, Zierlinien und die verchromten Flächen an den Tankseiten erinnern an die erste Auflage der Eldorado und ziehen die Blicke auf sich.
Der wirkliche Eyecatcher ist aber dieser mächtige, luftgekühlte V2, für dessen breite Zylinderköpfe die Seitenteile des Tanks ausgespart werden mußten. Stattliche 104 Millimeter messen die Kolben, ihr Arbeitsweg fällt mit 81,2 Millimeter deutlich geringer aus. Da erwartet man, dass die ganze Maschine sich schüttelt und stampft, wenn der elektrische Anlasser die Kurbelwelle erstmal in Rotation versetzt hat. Aber erstaunlicherweise kommen nur wenige Vibrationen beim Fahrer an. Im Stand pulsiert der Twin im Fahrgestell, während der Fahrt bleibt davon wenig übrig. Verantwortlich ist hierfür eine neue Motoraufhängung, welche die italienischen Ingenieure „Elastic Engine“ nennen. Gummigedämpfte Aufhängungselemente schlucken ab einer gewissen Drehzahl die meisten Vibrationen.
Aber – eine Guzzi ohne Vibrationen – will das überhaupt jemand? Ein V2- Motor soll vibrieren – ja, er muss vibrieren, sonst könnte man sich ja gleich ein vierzylindriges Bike kaufen. Doch keine Angst, man merkt schon noch, dass hier ein mächtiger Twin arbeitet, aber halt nicht so stark wie bei anderen Big Twins aus Mandello. Das verwässert etwas das ursprüngliche Guzzi-Feeling, erhöht aber den Fahrkomfort.
Viel Hubraum wird im Allgemeinen gleichgesetzt mit viel Drehmoment, und das kann die neue Guzzi bieten: 120 Newtonmeter sind schon ein ordentlicher Wert, besonders wenn man bedenkt, dass die Spitze des Drehmomentgipfels bereits bei 2750 Umdrehungen in der Minute anliegt. Wer es wissen will, kann dem V-Motor aber auch die Sporen geben und bei 6500 U/min 71 kW / 96 PS entlocken.
Anfahren mit Standgasdrehzahl ist möglich, einfach nur gefühlvoll die Kupplung kommen lassen, und das Dickschiff setzt sich in Bewegung. Egal, bei welcher Drehzahl man Gas gibt, die Fuhre schiebt ohne Drehmomentloch nach vorne. Die lineare Leistungsentfaltung sorgt für eine gute Beherrschbarkeit der Maschine. Wer glaubt, dass der Motor im oberen Drehzahlbereich zäh wird, muss sich eines Besseren belehren lassen. Bis zum sanft einsetzenden Drehzahlbegrenzer dreht der V2 frei hoch und erlaubt eine mehr als zügige Fahrweise. Also mit Druck bei niedrigen Drehzahlen aus den Kurven herausbeschleunigen, den Gang ausdrehen und schon kommt die nächste Kurve; hier am Comer See, wohin Moto Guzzi zur Pressepräsentation eingeladen hat, gibt es keine langen Geraden. Oder einfach im großen Gang dahin bummeln, gerade so wie es einem gefällt – mit der Guzzi ist beides möglich.
Während man beim Rangieren die 334 Kilogramm vollgetankt deutlich spürt, kommt einem die Eldorado in Bewegung leichter vor, bleibt aber doch ein ordentlicher Brocken. Darum spendierte Moto Guzzi der Maschine Stopper, wie sie vor ein paar Jahren noch den Superbikes vorbehalten waren. Radiale Brembos beissen kraftvoll in 320er-Scheiben. Der Stopper im Hinterrad misst stattliche 282 Millimeter. Das bringt die Fuhre schon gut dosierbar zum Stehen, und ein ABS sorgt dafür, dass nichts blockiert.
Die Sitzposition ist aufrecht und bequem, der Sattel weich gefedert. So lässt es sich aushalten, 20,5 Liter Benzin versprechen ja eine ordentliche Reichweite. Der breite Bullhornlenker kommt dem Fahrer entgegen. Doch beim Serpentinenfahren im Regen entfernt sich das kurvenäußere Lenkerende recht weit vom Körper, da sollte man nicht zu kurze Arme haben. Die großen, gummigedämpften Trittbretter sind weit vorne angebracht und neigen zum frühen Bodenkontakt in Schräglage. Rechts befindet sich ein stattliches Bremspedal, links ist eine ebensolche Schaltwippe zu entdecken, die man aber auch wie einen normalen Schalthebel bedienen kann.
Wie viele andere moderne Motorräder mit Ride-by-Wire bietet die Eldorado drei Leistungsmodi an. Bei Moto Guzzi heißt das im wohlklingenden Italienisch „Turismo“, „Veloce“ und „Pioggia“, was übersetzt ungefähr „Reise“, „Schnell“ und „Regen“ bedeutet. Zur weiteren elektronischen Ausstattung gehören Tempomat und dreistufige Traktionskontrolle
.
Die Kraftübertragung übernimmt eine hydraulisch betätigte Einscheibenkupplung, welche sich zwischen Motor und angeflanschtem Getriebe befindet. Sechs Fahrstufen stellt die Schaltbox zur Verfügung. Für längere Reiseetappen ist der letzte Gang drehzahlmindernd als Overdrive ausgelegt. Der wartungsarme Kardanantrieb verzichtet auf eine Momentabstützung, die Lastwechselreaktionen halten sich aber in Grenzen.
Neben der Eldorado hat Moto Guzzi die Audace im Programm. Technisch entspricht dieses Musclebike weitgehend der Eldorado. Bei der Audace ersetzen konventionelle Fußrasten die Trittbretter. Diese sind etwas weiter hinten positioniert, während die Enden des fast geraden Dragbarlenkers deutlich weiter vorne sind als bei der Eldorado. Dadurch ergibt sich eine andere, aktivere Sitzposition. Man hat mehr Gefühl für das Vorderrad, und mit leicht anderem Nachlauf ist die Audace handlicher als die Eldorado. Mit 740 Millimetern ist die Sitzhöhe bei beiden 1400ern niedrig.
Mit größeren Katalysatoren und einem neuen Sekundärluftsystem ist die Audace die erste Moto Guzzi, welche die Euro 4-Norm erfüllt. Die Eldorado ist noch mit Euro 3 angegeben. Der Reifen vorne ist wie bei der Eldorado 130 Millimeter breit, aber der Durchmesser beträgt 18 anstatt 16 Zoll, und das Bike rollt auf Gussrädern. Hinten spendierten die Designer einen fetten 200er auf einer 16-Zoll-Felge. Während bei der Eldorado bei den Stoßdämpfern nur die Federvorspannung veränderbar ist, lässt sich bei der Audace auch die Zugstufe verstellen. An der 46 Millimeter starken Gabel ist keine Verstellmöglichkeit vorhanden.
Die neuen Modelle sind bereits im Handel verfügbar. Bei beiden Maschinen hat der Kunde die Auswahl zwischen den Farben Rot und Schwarz. Aber Rot ist nicht gleich Rot, und auch bei Schwarz gibt es Unterschiede. So heißen die Farben der Eldorado Rosso Pregiato und Nero Classico, die Audace wird im matten Rosso Impetuoso und Nero Travolgente lackiert. Der Preis ist für beide Motorräder mit jeweils 18 500 Euro inklusive Nebenkosten identisch.
Wie viele andere Modelle aus dem Piaggio-Konzern können auch die Audace und Eldorado mit einem Handy per Bluetooth als Zusatzdisplay mit diversen Funktionen ausgerüstet werden. Das kostet etwa 250 Euro Aufpreis. (ampnet/fh)
Daten Moto Guzzi Eldorado (Audace)
Motor: V2, 90 Grad, 1380 ccm, luftgekühlt
Leistung: 71 kW / 96 PS bei 6.500 U/min
Max. Drehmoment: 120 Nm bei 2.750 U/min
Höchstgeschwindigkeit: 195 km/h.
Beschleunigung 0 - 100 km/h: k.A.
Getriebe: sechs Gänge
Antrieb: Kardan
Tankinhalt: 20,5 Liter
Sitzhöhe: 740 mm
Gewicht vollgetankt: 334 kg (319 kg)
Bereifung Eldorado: 130/90 R 16 (vorne), 180/65 R 16 (hinten)
Bereifung Audace: 130/90 R 18 (vorne), 200/60 R 16 (hinten)
Preis: 18.500 Euro