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Vor drei Jahren unternahm Harley-Davidson den Versuch, mit der Baureihe Street im mittleren Hubraumsegment Fuß zu fassen und eine jüngere Käuferschicht anzusprechen. Das in Indien gefertigte 750er-Einstiegsmodell namens Street 750 überzeugte jedoch in Sachen Qualität und Material zunächst nicht. Der Kostendruck war zu offensichtlich. Mit der nachgelegten Street Rod unternimmt die amerikanische Kultmarke einen zweiten Anlauf.
Dienstag, 14. August 2018 10:47
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Keine Frage, optisch macht die Street Rod – auf die Hubraumkennung wird anders als bei der Street verzichtet – doch deutlich mehr her als das Schwestermodell. Sie verlor viele Chopperanteile und schiebt sich ein wenig mehr in Richtung Straßenfeger. Die Rod ist kürzer und höher als ihre Baureihengenossin. Doch Harley-Daidson beließ es nicht bei einem anderen Style, sondern legte auch in Sachen Performance nach. Ganze 13 PS mehr mobilsiert der optimierte Revolution-X-V2, und aus 59 Newtonmetern wurden 65 Nm bei gleicher Drehzahl. So verspricht der Neuzugang des vergangenen Jahres schon einmal spürbar mehr Fahrspaß.
Und den bietet die Street Rod auch. Ab 2000 Umdrehungen in der Minute bollert sie stotterfrei los und hat ab 3000 Touren ordentlich Dampf auf beiden Kesseln. Ab 4500 U/min, wenn im letzten Gang 120 km/h erreicht sind, nehmen die Vibrationen des Revolution X dann etwas zu. 700 Touren später sidn sie aber zumindest in den Griffen bereits wieder verschwunden.
Auch wenn sie aus Indien stammt, so vermittelt die Street Rod mit ihrem Dampfhammer-V2, dem breiten und flachen Lenker sowie ebensolchem Tank das Gefühl des American-Way-of Drive. Die Schaltwege sind erfreulich kurz, und die Gänge rasten mit Ausnahme des Leerrlaufs exakt ein. Beim Sounderlebnis muss sich die „kleine“ Harley mit ihrem ausreichend tiefen Bass den größeren Geschwistern aus Milwaukee wegen des Hubraumhandicaps nur leicht geschlagen geben.
Der bauchige Tank suggeriert etwas mehr Inhalt als die tatsächlichen 13 Liter, sorgt aber gleichzeitig dafür, dass die Beine dem Motor nicht noch näher kommen. An den rechtseitigen Luftfilter am Knie hat man sich als Harley-Fahrer ja längst gewöhnt. Leider wartet die Street Rod aber mit noch ganz anderen ergonomischen Unanehmlichkeiten auf. Während der oberhalb des Fußes liegende Schalthebel noch in Ordnung geht, ist rechts und Auspuff-seitig ein eigenartiges Konstrukt entstanden. Zum Luftfilterkasten gesellt sich ein seltsam von oben, fast schon schlangenartig herabschwingender Fußbremshebel, der den Stiefel unnötig nach außen drückt. Und dass das Hitzeblech des Auspuffs eine Gummiauflage für die hintere Sohle trägt, macht deutlich, das hier nicht alles optimal angeordnet sein kann. So wird die rechte Hacke auch noch leicht angehoben, was zu unterschiedlich positionierten Knien führt. So ertappt sich der Street-Rod-Fahrer oft dabei, den Fuß weiter nach außen zu stellen und nur die halbe Fußraste sowie das Hitzeschild direkt zu belegen. Nach einigen hundert Kilometern hat man sich dann aber doch mit der etwas ungewohnte Haltung auf der Harley arrangiert.
Die gewöhnungsbedürftige Ergonomie ist umso bedauerlicher, da sich die Street Rod als erfreulich kurvenwilliges und Serpentinen-taugliches Motorrad entpuppt, das gut einlenkt und Schräglagen nicht scheut. Der breite Lenker fördert präzises Dirigieren, und die kleine Lampenmaske entlastet den Oberkörper effiktiver als man es ihr zutrauen würde. Dazu kommt eine angenehm weich gepolsterte Sitzbank, die erst auf längeren Etappen nachteilig wird. Auch bei Tempo 170 auf der Autobahn liegt die Street Rod noch satt auf der Bahn. Nur in den Stau sollte man mit der Street Rod nicht unbedingt geraten. Im Stand heizt der Twin dem rechten Unterschenkel am Auspuff und dem linken Oberschenkel am hinteren Zylinderkopf mächtig ein.
Typisch Harley-Davidson ist das einsame Rundinstrument mit dem kleinen und nur eine Zeile fassenden Display, bei dem die gewünschten Informationen, zum Beispiel Ganganzeige und Drehzahl, einzeln „durchgescrollt“ werden müssen. Bis auf ein Stück freiliegendes Kabel hinter der Lampenverkleidung wirkt das US-Bike made in India recht ordentlich verarbeitet, wenn auch ein wenig rustikal. Die hinteren Federbeine mit einstellbarer Basis verfügen über Ausgleichsbehälter. Die vordere Upside-down-Gabel lässt sich nicht nachjustieren. Ebenso wenig sind einstellbare Handhebel an Bord. Nettes Gimmick am Rande: Die Michelin-Scorcher-Reifen tragen nicht nur den H.-D.-Schriftzug, sondern an der Flanke auch noch den eingestanzten Umriss des Markenemblems.
Mit 8675 Euro ist die Street Rod einen guten Tausender teurer als die Street 750. Dennoch dürfte sie es deutlich leichter haben als die etwas ältere Schwester, denn im zweiten Aufguss zeigt sich Harleys Kleinste von einer deutlich besseren Seite. (ampnet/jri)
Daten Harley-Davidson Street Rod