Nouvelle Cuisine für Gourmets?
In Frankreich werden nach jahrzehntelanger Abstinenz wieder Motorräder gebaut. Mit drei neuen Modellen startet Voxan jetzt auch in Deutschland mit dem Vertrieb. Wir haben das Modell Café Racer ausgiebig getestet und wollten wissen, was das seit vielen Jahren erste französische Motorrad zu bieten hat.
Der optisch dominierende V2-Motor im 72-Grad-Winkel mit 996 Kubikzentimetern Hubraum verfügt über zwei oben liegende Nockenwellen und ist mit 99 x 66 Millimetern extrem kurzhubig ausgelegt. Er kommt ohne Ausgleichswellen aus. Sein höchstes Drehmoment von 108 Newtonmetern erreicht er bei 7500 Kurbelwellenumdrehungen. Die Maximalleistung ist für den Straßenbetrieb auf 98 PS/72 kW bei 8000 Touren gedrosselt. In der Sportversion verfügt das Aggregat über 120 PS. Vier Ventile und zwei Zündkerzen pro Zylinder sowie eine Einspritzanlage sorgen für harmonische Verbrennung. Der Primärantrieb erfolgt über Zahnräder, eine O-Ringkette überträgt die Kraft aufs Hinterrad. Das klauengeschaltete Sechsganggetriebe lässt sich leicht, leise und präzise schalten. Die versprochenen 247 km/h Höchstgeschwindigkeit haben wir nicht erreicht, bei Tacho 240 war Schluss.
Die Kraftentfaltung des V2 ist über den ganzen Drehzahlbereich sehr gleichmäßig. Schon im Leerlauf poltert er uns ein lustiges Liedchen, und wer Gas gibt, erfreut sich an der gleichmäßigen Gasannahme ohne irgendwelche Leistungslöcher. Japanische Vielzylinderfahrer vermissen vielleicht etwas Biss oder stören sich an den Vibrationen, die ab 8000 Touren bis in den roten Bereich bei 9400 Touren stärker werden. Leistung ist aber immer ausreichend vorhanden und der sympathische Geselle erzieht einen geradezu zum flüssigen Fahren. Es kommt überhaupt kein Stress auf, ganz im Gegenteil.
Beim Voxan-Rahmen handelt es sich um eine Entwicklung des französischen GP-Ingenieurs Alain Chevallier. Ein Leichtmetall-Gussteil am Lenkkopf mit integriertem Lufteinlass und eines an der Schwingenaufnahme, das gleichzeitig als Ölbehälter für die Trockensumpfschmierung und zur Schwingenaufnahme dient, sind durch zwei Stahlrohre in Brückenbauweise miteinander verbunden. Unter dem mittragenden Motor befindet sich ein White-Power-Federbein, das auch auf schlechten Straßen hervorragend anspricht und genauso individuell einstellbar ist, wie die Paioli-Vorderradgabel.
Der Lenkkopfwinkel ist mit 65,3 Grad etwas größer als beim Schwestermodell Roadster und man merkt dem Café Racer beim Kurvenfahren eine deutliche Tendenz zum Geradeauslauf an. Das Bike braucht etwas Druck in schnellen Kurven, gibt sich dafür aber bis zur Höchstgeschwindigkeit völlig fahrstabil. Das Leergewicht von fahrfertigen 221 Kilogramm geht ebenso in Ordnung wie die Zuladung von 205 kg.
Die Reifen kommen natürlich vom Partner Michelin und haben in der Ausführung Pilot Sport der Dimension 180/55-ZR 17 hinten und 120/70-ZR 17 vorne guten Grip, wenn sie ausreichend warmgefahren sind.
Der erste Eindruck beim Probesitzen bestätigt sich in der Fahrpraxis: Kompakt, sportlich, knackig. Die weit vorne und niedrig angebrachten Lenkerhälften sind genauso wie die Fußrasten individuell einstellbar. Eine Cockpitverkleidung hält nur das nötigste an Fahrtwind ab und wer die kleine Sitzbankverkleidung abschraubt, kann auch noch einen Sozius mitnehmen – am besten aber nicht viel weiter als bis zum nächsten Eiscafé; die kleine Sitzfläche und die hohen Rasten lassen keine Freude aufkommen.
Beim Blick auf das Cockpit mit analogen Rundinstrumenten lässt man sich gerne von der wunderschön aus einem Stück gefrästen Gabelbrücke oder dem Aluminiumtankverschlussdeckel ablenken. Keine modernen LED-Anzeigen stören die Optik. Man hat einfach sofort das Gefühl, auf einem „mit Liebe“ gebauten Stück Technik zu sitzen. Alles wirkt individuell und trotzdem wertig. In Verbindung mit den leichten Vibrationen und dem kernigen Sound fühlt man sich visuell und emotional in die siebziger Jahre zurückversetzt.
Der 18-Liter-Tank reicht bei einem Verbrauch von 6 bis 7 Litern Eurosuper pro flott gefahrenen 100 Kilometern für einen Sportler aus. Wer nach etwa 250 Kilometern tankt, wird sich zwar gerne mal die Beine ausstrecken, aber wahrscheinlich relativ schnell wieder weiterfahren. Das hat zwei Gründe: Zum einen bereitet der Café Racer unwahrscheinlichen Fahrspaß, zum anderen wird es bald lästig, immer wieder Fragen zum Thema Voxan beantworten zu müssen. Der Aufmerksamkeitswert ist jedenfalls sehr groß.
22 490 Mark und momentan drei Monate Lieferzeit muss einkalkulieren, wer einen Café Racer begehrt. Abgasreinigung leider Fehlanzeige. Bemerkenswert sind allerdings 3 Jahre Garantie ohne Kilometerbegrenzung, sowie 2 Jahre auf Ersatzteile.
Derzeit steht allerdings die ganze Firma auf etwas wackeligen Beinen: Seit 29. Juni 2001 ist Voxan insolvent. Sechs Monate haben die Franzosen jetzt Zeit, neue Investoren für sich zu gewinnen. Bis dahin sind die umgerechnet rund 3,3 Millionen Mark Schulden gestundet. Die 160 Mitarbeiter produzieren aber weiter etwa 200 Motorräder pro Monat, da über 1000 Bestellungen vorliegen. Schon im September soll eine US-Gesellschaft bei Voxan einsteigen.
Es scheint, als ob den Franzosen auf Anhieb ein großer Wurf gelungen ist. Sicher ist so ein Exote wie der Voxan Café Racer nicht jedermanns Sache. Das gilt auch für das gewollte Retro-Design. Die eingeschworene Gemeinde der V2-Fahrer hat jedoch einmal mehr die Qual der Wahl und die Mitbewerber mit der Voxan einen sehr ernst zu nehmenden Konkurrenten bekommen. Denn das Triebwerk ist leistungsstark und ausreichend kultiviert, das Fahrwerk gefällt und bereitet niemals Überraschungen. Individualität und Exklusivität, gepaart mit guter Verarbeitung und ansprechendem Design, wecken jede Menge Emotionen und werden dazu beitragen, die Jahresproduktion von derzeit 2400 Stück vermutlich wohl bald zu steigern. Spätestens im Jahr 2002 dürfte das der Fall sein – dann wird Voxan auch in Amerika angeboten.
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