„Echt cool, man“
Eigentlich zählt in der Szene nur Innovation, Power, Speed und Outfit. Eigentlich. Bei der neuen Kawasaki W 650 ist jedoch alles ganz anders. Hier scheint die Zeit vor 30 Jahren stehen geblieben.
Motorradfahren hält jung. Keine Frage. Ganz anders als im Auto, einfach hinsetzen und losfahren, is` nicht. Geistige und körperliche Fitness ist gefordert. Und weil das so ist, fühlen sich auch die ewig Jungen immer noch ziemlich frisch. So einfach ist das. Motorradfahren hat aber auch etwas mit feeling zu tun. Zum einen wie man selbst drauf ist, zum anderen welchen Charakter das Bike vermittelt. Ihr wisst schon: Tourer, Puristen, Sportler, Supersportler, Chopper, Cruiser, Enduro und wer weiß was sonst noch. Sich einfach „Biker“ nennen, wäre schließlich viel zu einfach. Und weil das Hobby reichlich mit Technik, Sport, Reisen, Freizeit und ruhmreicher Historie zu tun hat, gibt es unter Motorradfahrern natürlich immer etwas zu erzählen.
Dumm wird die Sache nur, wenn es um Vorgestern geht. Als Motorräder noch Motorräder, Fahrer echte Kerle, die Musik rockig, lange Haare und Diskotheken in, die Eltern verspießt, Zusammenleben wilde Ehe hieß, ein Glas Bier 45 und der Liter Benzin 50 Pfennige kostete, für die Urlaubsfahrt ins Ausland ein Reisepass nötig war und Auflüge grundsätzlich ein unkalkulierbares Abenteuer bedeuteten. Eine Zeit also, die man selbst nicht miterlebt hat, sie nur aus Erzählungen, Berichten oder Filmen kennt.
Gemeint sind die wilden Sechziger. Und genau in dieses schwarze Loch bringt Kawasaki jetzt Licht. Die Zeitmaschine, die einen dahin bringt, heißt W650. Allerdings nicht mit „Mach III“, sondern geruhsam, schön beschaulich. Denn damals waren „Rushhour“, „Stress“ und „Hektik“ Fremdwörter.
Früher, Mitte der Sechziger, war tatsächlich noch vieles anders. Zwar nicht besser oder schlechter, nur weniger. Jedenfalls, was das Motorradgeschäft betraf. Denn damit wollten nur noch wenige etwas zu tun haben. Bei uns jedenfalls. Ganz anders in den USA. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten hatte die Jugend das Motorradfahren als neue Freizeitbeschäftigung entdeckt. Für Spaß, Hobby, Sport, Abenteuer, aber auch für den Ausbruch aus der konservativen, bürgerlichen Gesellschaft: „born to be wild“!
Hoch im Kurs standen die dicken Brummer von Indian, Harley-Davidson, BMW, Triumph, BSA und Norton. Japanische Reiskocher hatten auf dem Markt (noch) nichts zu melden. Ihr Moped-Angebot richtete sich vornehmlich an Hausfrauen, Schüler und Studenten. Und damit auch tatsächlich jeder wusste, was damit gemeint war, sangen die Beach Boys den Ohrwurm „Little Honda“. Eine Ausnahme gab es allerdings: die Kawasaki W1. Ein richtiges Bike mit 50 PS starkem 650er Viertakt-Twin. Wow! Eine gewisse Ähnlichkeit zur englischen BSA A7 ließ sich leider nicht verleugnen. Auch kein Wunder. Die W1 war nämlich eine perfekte Kopie. Und das nahmen die US-Biker Kawasaki verdammt übel. In den Staaten holte sich der Dampfhammer Plattfüße. Die W1 wurde trotzdem zum Verkaufsknüller, allerdings nur im eigenen Land. In Japan war sie das Überbike schlechthin. Wer eine W1 fuhr, war „King of the Road". Als kleinster japanischer Motorradhersteller hatte Kawasaki 1966 den Mitbewerbern Honda, Yamaha und Suzuki nach dem Motto „stärker, schneller und besser“ gnadenlos gezeigt, wo der Hammer hing. Dieser Firmenphilosophie huldigt das Werk bis auf den heutigen Tag.
Und jetzt plötzlich die W 650? Eine Maschine wie aus den sechziger Jahren. Wer soll das verstehen. Kawasaki selbst jedenfalls am besten. Schon vor über zehn Jahren hat man nämlich jede Menge Anfragen mit der Bitte bekommen, man sollte die schönen alten Bikes von früher frisch aufs Band legen. Die erste erfolgreiche Antwort war die Zephyr-Modellreihe, geboren aus der Erinnerung an die legendäre Z 900 „Z1“ von 1972. Der zweite Streich ist nun die W 650, der W1 von 1966 sei Dank. Wer allerdings aufgewärmte Technik von damals erwartet, wird enttäuscht. Die W 650 ist rundherum eine Neukonstruktion. Mit Königswellenantrieb für die obenliegende Nockenwelle, vier Ventilen pro Zylinder, und damit der Parallelläufer nicht allzu sehr vibriert, mit Ausgleichswelle. Dagegen ist die Optik eine Sensation, so wie früher! Man braucht die W 650 keinem zu erklären. Alle technischen Ausführungen sprechen für sich, sind überschaubar, leicht verständlich. Der luftgekühlte Motor mit besagter Königswelle und Kickstarter, der solide Doppelschleifenrahmen, die klassischen Speichenräder, vorne eine Scheibenbremse, hinten Trommelbremse, ein Tank wie ein Tank zu sein hat und eine praktische Sitzbank für zwei Personen. Eben ein richtiges Motor-Rad. Fast genauso wie damals die Triumph Bonneville, BSA Spitfire oder Kawasaki W1. Nur mit dem kleinen Unterschied, die W 650 ist Baujahr 1999. Retro-Klassiker wird dieses Bike heute genannt, und damit Erinnerungen an früher mit Absicht geweckt. Jedenfalls bei all denen, die die Sechziger miterlebt haben.
Alle anderen, die sich jetzt vorstellen können, was damals los war, können mit der W 650 dahin zurück kutschieren. Und hierfür wird der Motor ganz cool per Kickstarter angeworfen, ein-, zweimal Gas gegeben bis er rund läuft, dann lässig der erste Gang eingelegt und ab geht die Post. Burnouts, Wheelies und sensationelle Showeinlagen überlässt der W 650-Treiber der Hypersupersportbike-Fraktion. Man steht über den Dingen. Das Gleiche gilt für unterwegs. Niemandem braucht man etwas vorzumachen oder zu beweisen. Schließlich ist der 50 PS starke Motor so ausgelegt, dass er über genügend „Dampf aus dem Keller“ verfügt.
Gemütliches Dahinbummeln im fünften Gang ist angesagt. Aber auch im Durchzug kann der Twin begeistern. Die rund 200 kg schwere Maschine zieht in jeder Lebenslage kräftig vorwärts. Aufrecht sitzend, mit der Nase im Wind wird der Weg zum Ziel, sich Bewegen wird zum Fahrspaß. Und dazu der Sound! So klingt nur ein großvolumiger Viertakt-Twin. Fast hätte man diese Melodie vergessen. Auf die Idee zum Rasen kommt keiner, dann würde man ja nichts mehr hören. Und wenn irgendwann das Ziel erreicht ist, kann man den Kumpels viel erzählen. Vom Streckenverlauf, von der schattigen Baumallee, den schönen Kurvenkombinationen, den Ortsdurchfahrten mit den alten Fachwerkhäusern, den Leuten längs der Straße und wie sie hinter einem her geguckt haben, und, und...
Spätestens jetzt kommen die Heizer ins Grübeln. Sie sind exakt die gleiche Strecke gefahren, gesehen haben sie aber nichts. Dafür waren sie zwei Minuten früher am Biker-Treff. Und das ist schließlich ja auch etwas...
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