Schöner reisen
Für (fast) jeden Einsatzzweck halten die Bayern ein spezielles Modell bereit: BMW nutzt die Möglichkeiten der Vierventilboxer-Baureihe konsequent aus. Die R 1150 GS markiert derzeit den Gipfel des technisch Machbaren in der Kategorie Reise-Enduro, die R 1100 S ist ein vorzügliches Sportmotorrad geworden. Das voll verkleidete Tourenmodell R 1100 RT wurde ebenfalls ein voller Erfolg.
In der leicht modifizierten R 1150 RT hat die 1100er einen Nachfolger gefunden: Etwas leistungsstärker, mit Sechsganggetriebe und einem neuen Bremssystem, ABS natürlich inklusive. Und die Frontpartie wurde hübscher. Ist sie nur teurer oder auch besser als das Vormodell?
Der 1085 Kubikzentimeter große Zweizylinder-Boxermotor der R 1100 RT leistete 66 kW/90 PS bei 7250 Kurbelwellenumdrehungen; das maximale Drehmoment war mit satten 95 Newtonmetern bei 5500 Touren angegeben. Durch den Einbau des exakt 1130 Kubikzentimeter großen 1150er Motors wird der große Tourer noch leistungsfähiger: Jetzt stehen 70 kW/95 PS bei 7250 Umdrehungen und ein maximales Drehmoment von 100 Newtonmetern bei 5500 Touren zur Verfügung. In der Praxis ist dieses mit jeweils vier Ventilen pro Zylinder ausgerüstete Triebwerk ein hervorragender Partner für lange Reisen und zügiges Fahren: Der Motor springt auch ohne Choke-Hilfe spontan an und läuft fast von Anbeginn stabil rund. Im größten Gang nimmt das Triebwerk schon bei 2000 Umdrehungen Gas an, nur wenig später setzt vehemente Beschleunigung ein. Der 1150er Motor des Testfahrzeuges zeigte allerdings bei niedrigen Drehzahlen und konstanter Last keine überzeugende Laufkultur; er war von so genanntem Konstantfahrruckeln nicht frei, was durchaus als nervig empfunden wird.Am wohlsten fühlt sich das Triebwerk zwischen 2500 und etwa 5000 Umdrehungen: Jeder Dreh am Gasgriff wird mit spontaner Drehzahländerung beantwortet. Im Bereich über 6000 Umdrehungen bis zur Maximaldrehzahl wirkt das Laufgeräusch rauer und es treten spürbare Vibrationen auf; um sie zu mildern, ist das aktuelle 1150er Modell mit einem Sechsganggetriebe ausgerüstet, dessen oberste Fahrstufe als Overdrive ausgelegt ist. Angesichts des satten Durchzugs bei niedrigeren Drehzahlen wird man sich in sehr hohen Drehzahlregionen nur selten aufhalten.
Voll zu überzeugen vermag der mit Einspritzung und G-Kat ausgerüstete Motor in Sachen Benzinverbrauch: Zügige bis schnelle Landstraßenfahrt kostet unter 6 Liter Super pro 100 Kilometer, bei zurückhaltenderer Fahrweise lässt sich ein Verbrauch von nur wenig über 5 Litern realisieren. Extrem schnelle Autobahnfahrt (150 bis 200 km/h, zwei Personen) verlangt zwar Expresszuschlag, doch fällt dieser eher moderat aus: Knapp 8 Liter sind ein angesichts dieses Tempos günstiger Wert.
Das Sechsganggetriebe der R 1150 RT ist gegenüber dem 1100er Modell eine klare Verbesserung: Die Gangwechsel erfolgen jetzt leiser, die Schaltwege sind kürzer. Wie bisher rasten die Gänge bei nachdrücklicher Betätigung absolut sicher ein.
Die Kraftübertragung zum Hinterrad erfolgt – wie bei BMW üblich – mittels Kardanantrieb. Die Paralever genannte Momentabstützung macht ihre Sache sehr gut: Störende Lastwechselreaktionen treten praktisch nicht auf.
Der Rahmen der R 1150 RT wurde gegenüber der 1100er nicht verändert: er ist als Brückenrahmen aus Stahlrohr konstruiert, der Motor hat mittragende Funktion. Das Vorderrad wird von der von BMW patentierten Telelever-Konstruktion geführt, bei der Federung und Dämpfung von der Radführung separiert sind. Die Folge ist einerseits sehr feines Ansprechen auf Fahrbahn-Unebenheiten, zum anderen taucht der Vorbau bei starkem Bremsen nur wenig ein, was die Funktionsweise des (serienmäßigen!) Antiblockiersystems positiv beeinflusst. Das Hinterrad der RT wird von einer Paralever-Schwinge aus Aluminium geführt; Federung und Dämpfung übernimmt ein mittig platziertes, vielfach einstellbares Federbein.
So viel zur Theorie, nun zur Praxis: Für ein – mit Radio und diversem weiteren Zubehör – immerhin 282 Kilogramm schweres Motorrad fahren sich R 1100 RT wie auch R 1150 RT ausgesprochen präzise und leichtfüßig. Das Tourenbike lässt sich leicht in Kurven einlenken und folgt dem einmal eingeschlagenen Kurs präzise; im Kurvenverlauf auftretende Wellen oder Rinnen irritieren das Fahrwerk nur minimal. Die Schräglagenfreiheit ist gut; allerdings kommen auf welliger Fahrbahn gelegentlich Aufsetzer vor. Eine sorgfältige Feder-Vorspannung bei Soziusbetrieb zahlt sich unter diesem Gesichtspunkt aus. Das Verhalten bei hohem Tempo (Vmax beträgt ca. 205 km/h) ist untadelig: Es tritt – auch mit beladenen Gepäckkoffern – keinerlei Pendeln auf.
Hoch wirksam ist seit jeher die Bremsanlage der BMW: Die Bremskraft lässt sich bei der 1100er sehr gut dosieren, die Bremswirkung ist gut. Ein herausragendes Sicherheitsplus stellte schon bisher das ABS dar: Es spricht sehr fein an und arbeitet selbst auf extrem schlüpfrigem Untergrund absolut einwandfrei. Allerdings erfordert die in der 1150er verbaute dritte ABS-Generation, das so genannte Integral-ABS, mehr Aufmerksamkeit und Gewöhnung: Denn jetzt werden sowohl beim Zug am Handhebel wie beim Druck auf das Bremspedal jeweils sämtliche Bremsen in Aktion versetzt. Das erhöht in der Praxis, vor allem für ungeübtere Fahrer, die Bremswirkung. Die Ausrüstung mit einem elektrischen Bremskraftverstärker führt allerdings zu einer eingeschränkten Dosierbarkeit der Bremse: anfangs passiert kaum etwas, dann beisst die Anlage förmlich zu. Ist der Lenker bei niedrigem Tempo, beispielsweise beim Wenden, kräftiger eingeschlagen und wird der Fußbremshebel betätigt, besteht akute Sturzgefahr, weil die Vorderbremse ja mit aktiviert wird. Das ansonsten hoch wirksame Integral-ABS benötigt also Gewöhnung!
Neben dem Fahrwerk ist die Praxistauglichkeit das stärkste Kapitel der BMW R 1100 RT wie auch der R 1150 RT; sie weist zahllose Details auf, die die Handhabung ganz allgemein wie auch das Bewältigen weiter Strecken leichter machen. Das fängt bei der in drei Stufen höhenverstellbaren Sitzbank an und hört bei der elektrisch einstellbaren Windschutzscheibe noch lange nicht auf. Mit ihrer Hilfe finden unterschiedlich große Menschen bei nahezu jeder Geschwindigkeit komfortablen Windschutz; der Stellmotor wird vom einem Schalter an der linken Lenkereinheit bedient. Entfallen sind bei der 1150er leider die zwei Luftauslassdüsen; sie leiten bei der 1100er nach Bedarf warme Luft in Richtung auf die Hände des Fahrers. Ein Informations-Display im Cockpit zeigt Öltemperatur, Benzinstand und den gerade eingelegten Gang an, zwei Steckdosen ermöglichen den Anschluss heizbarer Helmvisiere. Seiten- und Hauptständer funktionieren vorbildlich; für das leichtere Aufbocken auf den Hauptständer existiert ein ausklappbarer Handgriff.
Seit dem Wechsel auf den 1150er Motor sind auch die Lenkerarmaturen auf dem neuesten Stand; BMW setzte bei der R 1100 RT noch die vorletzte Schalter-Generation ein, die nicht ganz so gut bedienbar ist wie die neueste Ausführung.
Die Sitzposition für Fahrer wie Beifahrer ist hervorragend; es gibt kaum ein anderes Motorrad, auf dem sich fünfhundert Tageskilometer so komfortabel und wenig ermüdend zurücklegen lassen.
Die aufpreispflichtigen Koffer sind aerodynamisch ausgefeilt, die Befestigung am Motorrad dezent und stabil gleichermaßen. Die innenliegende Mechanik der Behälter beeinträchtigt jedoch das Fassungsvermögen erheblich. Die Bedienung der Koffer ist etwas umständlich.
Die überarbeitete Frontpartie der R 1150 RT lässt das Motorrad deutlich jünger und weniger plump als die 1100er erscheinen; seitlich des neuen Hauptscheinwerfers befinden sich zwei Nebelscheinwerfer.
11 944, 71 Euro oder 27 761,54 Mark inklusive Nebenkosten verschlingt der Kauf einer BMW R 1100 RT seit dem 1. September 2001 – gewiss keine Kleinigkeit; schon die 1100er kostete rund 26 500 Mark. Die Konkurrenz aus Japan ist freilich nicht billiger; die Honda ST 1100 – sie wird zum Modelljahr 2002 durch eine 1200er ersetzt - kostete schon bisher ähnlich viel wie die BMW. Und die 2001 erschienene, 145 PS starke Yamaha FJR 1300 ist gleich teuer, bietet aber auch gegen Mehrpreis kein ABS.
Wer seine RT individuell ausstatten möchte, hat jede Menge Möglichkeiten: Sie reichen von Innentaschen für die Gepäckkoffer bis zum Stereo-Radio; es wird von der linken Lenkerarmatur aus bedient.
Bei den Wartungskosten schneidet die BMW nicht schlecht ab: Die Inspektionsintervalle betragen immerhin 10 000 Kilometer. Allerdings ist die Garantie auf ein Jahr limitiert.
Wer ein hoch komfortables, leistungsfähiges und dennoch leicht handhabbares Motorrad für die große Reise sucht, muss die BMW R 1150 RT zwangsläufig in seine Überlegungen einbeziehen. Der Motor kann zwar immer noch nicht als Musterbeispiel für allerbeste Laufkultur dienen, doch zeigt er sich leistungs- und durchzugsstark, sparsam und zudem vorbildlich abgasgereinigt. Das Fahrwerk ist sehr ausgewogen: Es bietet hohe Reserven bei Kurvenfahrt und hervorragende Stabilität auch bei schneller Gangart. Die Praxistauglichkeit der R 1150 RT ist, wie schon beim 1100er Vormodell, vorzüglich, weil sie für größer und kleiner gewachsene Menschen gleichermaßen gut handhabbar ist. Der Preis von rund 11 950 Euro ist zwar hoch, erscheint aber angesichts des Gebotenen als gerechtfertigt.
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